Meine geheime feministische Agenda

Herr Littelmann, seit wann bist du denn Feminist?

Ich gebe zu, dass mir das The­ma immer wie­der über den Weg läuft: in der Uni, wenn ich mit Män­nern Bier trin­ke, auf Wer­be­pla­ka­ten, wenn mei­ne Frau sich als Inge­nieu­rin bewirbt, in Film und Fern­se­hen, in Com­pu­ter­spie­len, in Tex­ten, Aus­stel­lun­gen usw. usf. Den gan­ze Kom­plex »Gen­der, Femi­nis­mus, Sexis­mus, Gleich­be­rech­ti­gung« kann ich nicht mehr aus­blen­den, jetzt da ich mich ein­mal damit beschäf­tigt habe. Ich kann kei­nen Bond­film mehr schau­en, ohne mich über das wil­len­lo­se Bond­girl zu ärgern und bin posi­tiv über­rascht, wenn im neu­en Star Wars-Film immer wie­der Pilo­tin­nen zu sehen sind.

Ich bin aber auch hin- und her­ge­ris­sen, denn einer­seits gibt es Sexis­mus, gibt es die Gen­der-Gap und gibt es eine Indus­trie, die die­se Rol­len­bil­der immer wie­der repro­du­ziert. Ande­rer­seits ner­ven mich die­se geschlech­ter­ge­rech­te Spra­che und auch die Ver­bis­sen­heit, mit der man­che Men­schen das The­ma immer wie­der pole­mi­sie­ren. Weil ich mir also die­ser Pro­ble­me bewusst bin, habe ich mir für mei­ne Rol­len­spiel­sit­zun­gen eine »gehei­me femi­nis­ti­sche Agen­da« ent­wor­fen, weil mei­ner Mei­nung nach nur die Under­ground-Metho­de hilft. Denn ein wenig stimmt das schon mit die­ser Magie, dass was man immer wie­der zeigt, auch irgend­wann Wirk­lich­keit wird.

Ich set­ze die Theo­rie an die­ser Stel­le ein­fach mal vor­aus. Wer sich mit dem The­ma beschäf­tigt hat, weiß, was ich mei­ne und wer nicht, der kann ja ein­fach mal goo­geln. Erfah­rungs­ge­mäß ist die Gamer-Zocker-Spie­ler-Ecke da ein wenig lang­sa­mer als der Rest der Gesell­schaft und kol­la­biert bei­na­he bei Erkennt­nis­sen, die ande­re Gen­res schon vor 50 Jah­ren gemacht haben. Aber kei­ne Angst: Ich bin nicht öffent­lich­keits­ak­tiv. Mei­ne Aben­teu­er wer­den nie­mals in öffent­li­chen Publi­ka­tio­nen zu fin­den sein und so besteht kei­ne Gefahr, dass irgend­je­mand sich mit Din­gen aus­ein­an­der­set­zen muss, die er nicht mag. Ich will auch nie­man­den mis­sio­nie­ren, son­dern nur Ein­blick gewäh­ren in mei­ne Prin­zi­pi­en. Im Zwei­fels­fal­le hilft immer ein wenig Iro­nie beim lesen. 😉

Mei­ne Grup­pe jeden­falls hat sich noch nie beschwert.

Hast du jetzt also eine Frauenquote bei NSCs oder was?

Kur­ze Ant­wort: Ja. Etwas län­ger: Tat­säch­lich gebe ich mir Mühe, abwech­selnd männ­li­che und weib­li­che NSCs zu erfin­den und auch in Füh­rungs­po­si­tio­nen (also allen Arten von Ant­ago­nis­ten, Men­to­ren und Auf­trag­ge­bern) zu ver­an­kern. Dabei ist mir wich­tig, dass es ers­tens nicht gezwun­gen wirkt (all zu vie­le Sol­da­tin­nen soll­te man also nicht ein­bau­en) und ich zwei­tens nicht in Gen­der­kli­schees ver­fal­le. Vom The­ma »Sex« hal­te ich mich da lie­ber fern.

Tat­säch­lich ist das schwe­rer, als man viel­leicht denkt. Ich muss auf­pas­sen, hier nicht wie­der mit typi­schen Frau­en­ste­reo­ty­pen auf­zu­war­ten. Die »Jung­frau in Nöten«, die »Femme Fata­le«, die leich­be­klei­de­te Bar­ba­rin und auch die intri­gan­te Köni­gin müs­sen wei­chen. An ihre Stel­le tre­ten die gut­mü­ti­ge Waf­fen­händ­le­rin, die rebel­li­sche Toch­ter, die eine Räu­ber­ban­de anführt, die wort­kar­ge Anfüh­re­rin der Wäch­ter­or­ga­ni­sa­ti­on und die ver­rück­te Lei­chen­tei­le­samm­le­rin. Umge­kehrt ver­su­che ich natür­lich auch männ­li­che Ste­reo­ty­pen zu ver­mei­den. Wenn ich dar­an den­ke.

Dabei darf die Welt all die Pro­ble­me ruhig the­ma­ti­sie­ren. Der Ansatz von DSA ist zwar nett, aber eine Selbst­ver­ständ­lich­keit ist die Gleich­be­rech­ti­gung in mei­nen Aben­teu­ern nie. Das hängt damit zusam­men, dass ich als lei­den­schaft­li­cher NAR­ra­ti­vist auch Pro­ble­me der Gesell­schaft spie­ge­le und eine Rol­len­spiel­welt, in der sol­che Pro­ble­me nicht auf­tau­chen, eher lang­wei­lig fin­de. Es hängt aber auch damit zusam­men, dass es schon sei­ne Grün­de hat, dass Män­ner Frau­en über­all auf der Welt domi­nie­ren, denn sie sind im Durch­schnitt kör­per­lich ein­fach stär­ker. Und eine Frau kriegt eben Kin­der und stillt sie. Die­se Prä­mis­sen gel­ten auch für die meis­ten Rol­len­spiel­wel­ten und so müss­te es auch zu einem par­al­le­len Frau­en­bild kom­men, wenn man das mal wei­ter­denkt.

Dann kommt es oft zu Kon­sis­tenz­pro­ble­men, wenn zum Bei­spiel die Welt Rol­len gleich ver­teilt, Frau­en aber trotz­dem auf die Kin­der auf­pas­sen (Na, wer von euch hat schon mal einen Ander­gas­ter Papa mit Baby und Fläsch­chen gese­hen?). Oder im Kauf­aben­teu­er die »Jung­frau in Nöten« geret­tet wer­den muss. Oder wenn immer wie­der die­se Bor­del­le mit Män­ner­quo­te auf­tau­chen. Kann man so machen, muss man aber nicht.

Aber damit wirfst du ja alles über den Haufen, was uns Rollenspielern schön und lieb und teuer ist!

Ja, ich gebe zu, das mit den Bor­del­len tut mir auch weh. Als ich das ers­te Mal Fab­le gespielt habe, gefiel es mir so gut, dass ich lan­ge gebraucht habe, um dahin­ter­zu­kom­men, was Sexis­mus eigent­lich bedeu­tet. Bei Assassin’s Creed habe ich immer mit den Pro­sti­tu­ier­ten gespielt – und das nicht nur, weil sie so prak­tisch sind. Aber letzt­end­lich wird frau auf ein Sex­ob­jekt redu­ziert und zur Belus­ti­gung männ­li­cher Spie­ler ein­ge­setzt. Punkt. Bei mir wird es daher kei­ne Bor­del­le geben.

Aber dann ist da natür­lich das Set­ting (End­zeit ohne Out­laws, die Frau­en schla­gen?), die Gen­re­kon­ven­ti­on (Soll ich jetzt den Jung­ge­sel­len in Nöten ret­ten?), die Geschich­te (Es gibt doch aber Bor­del­le, war­um soll­te man sie also nicht im Rol­len­spiel ein­bau­en?) und die Gewohn­heit, die sol­che Femi­nis­ti­sie­rungs­ver­su­che erschwe­ren und ent­lar­ven. Es wirkt gezwun­gen und beschwe­ren tut sich auch nie­mand, wenn man es lässt. Und tat­säch­lich las­se ich oft ein­fach die Kli­schees ihren Dienst tun. In den Köp­fen der Spie­ler läuft eh ihr gewohn­tes Pro­gramm ab. Und das ist auch gut so, denn wenn Rol­len­spie­ler nicht im Kopf ergän­zen wür­den, was der Spiel­lei­ter andeu­tet, so hät­te die­ser per­ma­nent zu tun, ihnen die Welt nahe­zu­brin­gen. Da ist es schon bes­ser, wenn man sich auf Gewohn­hei­ten ver­lässt.

Ich will nicht, dass mei­ne Wel­ten ein femi­nis­ti­scher Kampf­platz sind. Wir wer­den nicht gen­dern, kei­ne Herr­sche­rin­nen­kas­te eta­blie­ren, nie­man­den erschla­gen, wenn er eine bie­ri­ge Bemer­kung macht. Kon­sis­tenz ist mir sehr wich­tig und dar­um ist es auch eine gehei­me Agen­da, weil ich rela­tiv unauf­fäl­lig immer mal wie­der einen coo­len weib­li­chen NSC ein­streue, der sich ganz authen­tisch in die Welt ein­fügt und nie­man­des Welt­bild erschüt­tert. Das ist mir ein­fach wich­tig, denn seit ich die­sen Blick für Sexis­mus habe, kann ich gar nicht anders. Das hat weni­ger mit mei­nen Spie­lern zu tun als mit mir.

Zum Schluss noch eine ver­söhn­li­che Anek­do­te. Mein letz­ter gro­ßer Streich war »Schwanz-ab-Eva«, die in unse­rem End­zeit-Fan­ta­sy-Set­ting Erd­fall eine Grup­pe Skla­ven­händ­ler anführt und die Frau­en um sich her­um in Schutz nimmt. Wenn ihr ein Mann zu nahe kommt, sta­tu­iert sie ein Exem­pel, indem sie ihm den Schwanz abschnei­det und ihn sich alss Tro­phäe an den Gür­tel hängt. Als Schrumpf­pim­mel, wenn man so will. Das ist natür­lich etwas ziem­lich plump, aber glaubt mir, wir hat­ten so viel Spaß wie noch nie.

 

7 thoughts on “Meine geheime feministische Agenda”

  1. Inter­es­san­ter Arti­kel und guter Ansatz, ich sehe das ähn­lich wie du. Rol­len­spiel ist eine her­vor­ra­gen­de Mög­lich­keit, die übli­chen Kli­schees mal bewusst weg­zu­las­sen oder die Erwar­tun­gen zu bre­chen. Dei­ne Bespie­le fin­de ich da alle ziem­lich gut. Was DSA angeht, hast du auch recht, die fest­ge­leg­te Gleich­be­rech­ti­gung beißt sich da lei­der ger­ne mal mit der Umset­zung. Wobei ich die Fest­le­gung an sich schon gut fin­de, weil sie ver­hin­dert, dass jede Krie­ge­rin oder See­fah­re­rin die sel­be umständ­li­che »wie ich mich jah­re­lang als Mann verkleidete«-Hintergrundgeschichte haben muss…

    Letzt­end­lich bringt es natür­lich auch wenig, das The­ma inner­halb der Rol­len­spiel­grup­pe auf einer theo­re­ti­schen Ebe­ne anzu­spre­chen – außer viel­leicht Erkennt­nis­se, die man gar nicht haben woll­te :p . Ich war jeden­falls ziem­lich über­rascht, als mir mei­ne gesam­ten (männ­li­chen) Mit­spie­ler erklär­te, dass sie NATÜRLICH bei einem zu ret­ten­den Mäd­chen viel mehr emo­tio­nal invol­viert wären als bei einem zu ret­ten­den Jun­gen. Weil näm­lich. Der Beschüt­zer­in­stinkt. Und über­haupt. Uff. Aber wenn dann im Spiel ein­fach mal die coo­le weib­li­che Söld­ner­an­füh­re­rin oder der­glei­chen als NPC auf­tau­chen, ist das dann doch wie­der sehr beliebt.

    Bei den meis­ten NPCs kann man sich eh fra­gen: »Mit wel­chem Geschlecht habe ich den auto­ma­tisch im Kopf? Und wür­de es viel­leicht coo­ler, wenn ich das ände­re, oder schlech­ter, oder isses schlicht egal?«

    Und wie ich schon mal irgend­wo schrieb: Das Umden­ken dau­ert eh lan­ge, aber man kann dran arbei­ten. Und wenn mal irgend­wann der SL sagt: »Das sind 5 Kämp­fer« und die Spie­ler nicht sofort 5 Män­ner vor Augen haben, ist schon viel erreicht.

  2. Wobei Eva in ers­ter Linie, glau­be ich, so wirkt wie sie wirkt, weil Män­ner ja so ihre beson­de­re Bezie­hung zum bes­ten Stück haben und Eva sie im über­tra­ge­nen wie wirk­li­chen Sin­ne »ent-mannt“.
    In der Hin­sicht bleibt auch die Fra­ge, ob Eva wirk­lich so eman­zi­piert und gleich­be­rech­tigt ist, wenn du ihr pri­mär männ­li­che Eigen­schaf­ten gibst (gibt Schutz, hat strik­tes Schwarz-Weiß-Ver­hal­ten, fackelt nicht lang, schmückt sich mit Sym­bo­len der Männ­lich­keit, um ihre eige­ne Stär­ke zu demons­trie­ren) und sie zudem gera­de dort grau­sam ist, das in ers­ter Linie nur Män­ner zit­tern lässt. Als Frau habe ich kei­ne Angst vor Eva. Als Frau ist Eva für mich nur ein kru­des Pro­dukt einer von Män­nern domi­nier­ten Welt, die sich männ­li­che Eigen­schaf­ten ange­eig­net hat, um beim Spiel unter Män­nern mit­zu­spie­len zu kön­nen. (Zumin­dest aus der klei­nen Anek­do­te her­aus inte­pre­tiert.) Oder schnei­det sie Frau­en, die ihr zu nahe kom­men, die Brüs­te ab? Wel­che Psy­cho­lo­gie, wel­cher Fluff steckt dahin­ter, dass sie Män­nern, und nur Män­nern, aus­ge­rech­net das pri­mä­re Geschlechts­or­gan abschnei­det? Ist sie ver­ge­wal­tigt wur­den, wur­de sie anders sexu­ell genö­tigt? Sie könn­te ja auch ein­fach nur jeden Mann nackt her­um lau­fen las­sen (Nackt­heit als Zei­chen von Ver­letz­lich­keit und damit Schwä­che) oder ihn brand­mar­ken, ihn schla­gen, ihn kahl rasie­ren und prü­geln sobald er es wagt, sie anzu­se­hen, etc. pp. Wenn Eva Män­ner so sehr nicht mag (oder jene, die zu zudring­lich sind), kann sie ihnen auch anders bei­kom­men als sich mit deren bes­ten Stück zu behän­gen.
    Aber ja, es ist auch Rol­len­spiel, und im Sin­ne der Rule of Cool wären die­se Vari­an­ten wohl zu wenig rei­ße­risch gewe­sen. 😉 (Und so ein Schrum­pel­pim­mel sieht bestimmt auch ein­fach sehr ulkig aus, hihi.)

    1. Du hast mit dei­ner Ana­ly­se voll­kom­men Recht. Genau des­we­gen habe ich Anek­do­te auch als »ver­söhn­lich« bezeich­net, weil sie zeigt, dass auch ich mit mei­ner Agen­da manch­mal Rol­len­kli­schees bedie­ne. Macht ja auch manch­mal Spaß.

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