»Sag mal, wir sind doch in dieser Kriegergilde…«
Für unsere Erdfallkampagne haben wir hin und wieder mit sich nicht besonders mögenden Fraktionen zu tun gehabt. Dabei ist es das ein oder andere Mal vorgekommen, dass die SC in einem taktisch geschickt platzierten Dilemma eine Entscheidung für die ein oder andere Fraktion treffen mussten (angeregt durch das Reizen von Charakteraspekten) und sich dabei folgerichtig eine der Fraktion zum Feind gemacht hatten. Genauso ist es vorgekommen, dass die SC in einer Fraktion in der Chefetage saßen und natürlich deren Ressourcen nutzen wollten. Nur leider existieren bisher in unserer Welt noch keine Regeln dafür und weil mir Fate-Fraktal und Konsorten als unpassende Werkzeuge erscheinen, um Reputationen und Gefallen abzubilden, will ich an dieser Stelle mal ein paar Überlegungen anstellen, wie man das einigermaßen vernünftig in (narrative) Regeln gießen könnte.
Ich werde ein eher allgemeines und generisches Modell entwickeln, wie man Fraktionen und deren Verflecht- und -pflichtungen abbilden kann, mit entsprechenden Fragen und Listen. Dazwischen werde ich aber auch immer wider Überlegungen anstellen, wie man das in Regeln umsetzen kann. Das Modell funktioniert in allen möglichen Regelwerken und Settings, weil aber ich mich mit Fate am besten auskenne, nutze ich natürlich für die Ausarbeitung diese Grundlage. Ganz allgemein könnte ich mir das Fraktionssystem in der Welt von Shadowrun, aber auch zum Beispiel in der World of Darkness vorstellen. Bisher ist mir noch keine Regelumsetzung bekannt, aber das liegt vielleicht auch an mir.
Das Fraktionenmodell ist grob in drei Komplexe geglieder: Fraktionen (also Gruppierungen, die miteinander in Verbindung stehen und denen sich SC anschließen können), Reputationen (die im Wesentlichen der Regelmechanik ihrer Gegenstücke in den Computerrollenspielen ähneln) und Gefallen, die man sich – eine gewisse Reputation vorausgesetzt – schulden kann. Die Überlegungen, die man sich zu Fraktionen machen kann, sind immer stark settinggebunden, da narrativ. Ich werde zur Illustration stets Beispiele aus unserer Erdfallkampagne heranziehen.
1. Fraktionen
Man nehme eine Handvoll (so 3 bis 7) Fraktionen und setze sie in Beziehung zueinander. Das kann man zum Beispiel sehr gut machen, in dem man sich alle Namen ringförmig auf ein Blatt Papier zeichnet und jede Fraktion mit jeder verbindet (Es entsteht ein vollständiger Graph mit n Knoten und k=(n(n-1))/2 Kanten). Jede Kante wird mit einer Beziehung der beiden Fraktionen beschriftet, die genug Stoff für Konflikte, Dilemmas und spannende Abenteuer birgt, denn wir wollen ja, dass es zu Problemen kommt. Das braucht natürlich spannende Fraktionen mit widersprüchlichen Zielen und Herangehensweisen. (Der ist frech, der Herr Littelmann, der setzt für sein popliges Modell einen komplexen Weltenbauprozess voraus. Na denn mal viel Spaß!)
Fürderhin wähle man für jede Fraktionen ein oder zwei andere Fraktionen aus, die jeweils freundlich, neutral und feindlich gesinnt sind. Bei insgesamt 3 Fraktionen ist es eine befreundete und eine feindliche, bei 7 Fraktionen kann man nach Lust, Laune und Einfallsreichtum variieren. Es muss nicht ausgeglichen und geometrisch sein, darf natürlich aber. Es ist ein bisschen so, als würde man ein Schnick-Schnack-Schnuck-Spiel entwickeln. Für Erdfall nehmen wir mal folgendes Minimalbeispiel:
- Akerbitaner: Schmerzreligion mit Temperanleihen. Versorgen die Leute mit Wohnungen und Essen und fordern dafür Folter. Genau: Die nehmen also die Leute, die sie versorgt haben, und stecken sie für ein paar Tage in ihren Turm, tun ihnen sehr, sehr weh und lassen sie dann wieder raus. Durch den Schmerz wird die magische Kraft der Verzerrung stärker, die wiederum einen widerlichen lebendigen Fleischklumpen im Keller nährt, mit dem die Akerbitaner ihre Lämmchen mit Nahrung versorgen.
- Wächter: Wollen die Verzerrung vernichten und finden die Akerbitaner entsprechend nicht so geil. Sie agieren im Geheimen und legen sich nicht offen mit der »Kirche der Schmerzen« an. In ihrer Methodik schwanken sie zwischen Inquisition und Gestapo.
- Schrottsammler: Versorgen die Akerbitaner stets mit der Droge Liquerium, die ihren Spezialeinheiten ungeahnte Kräfte verleiht, aber leider stark abhängig macht und entstellt. Da die Schrottsammler außerhalb der Stadt agieren, kommen sie sich mit den Wächtern eher selten in die Haare.
2. Reputation
Wenn die SC also in einem Abenteuer den Akerbitanern helfen, würden sie sich damit mit den Wächtern anlegen und bei den Schrottern Sympathien erwerben. Besonders akut wird es in diesem Beispiel, wenn es konkret etwas mit der Verzerrung zu tun hat. Das Vorgehen lautet also: Jede Fraktion bekommt auf einem Fraktionsbogen Beziehungen zu anderen Fraktionen mit gewissem Konfliktpotential. Wenn dieses Konfliktpotential gereizt wurde, die SC also im Abenteuer öffentlich etwas tun, was eine Fraktion verärgert, dann sinkt oder steigt entsprechend das Ansehen bei der passenden Fraktion. Es wäre vermutlich praktisch, am Ende des Abends eine kleine Checkliste abzuarbeiten, so ein wenig wie bei PtbA, mit Fragen, die auch auf den Fraktionsbogen gehören. Jede Fraktion hat ihre eigenen Fragen. Hier für die Akerbitaner:
- Hast du in dieser Spielrunde mit Liquerium gehandelt?
- Hast du die Verzerrung verstärkt?
- Hast du Schmerz verursacht?
Und dann braucht es noch so eine Art Balken für jede Fraktion, auf der die aktuelle Reputation festgehalten wird: Von »Feind« über »Neutral« bis zu »Freund«. Für meine Zwecke würden 6 Abstufungen in jede Richtung reichen (vor allem, weil das so gut mit Fate funktioniert: S.u.). Wer das hübsche Spiel Tyranny kennt, der weiß, dass dort zwischen Furcht und Loyalität unterschieden wird. Wäre noch eine Möglichkeit, wäre mir aber zu fitzelig. Wenn ich also jemanden beleidige, jemandem helfe, einen Mutanten vermöble, Liquerium selber nehme oder die Verzerrung bekämpfe, dann gibts Kreuzchen auf den jeweiligen Skalen. Zuerst hilft mir das vor allem, die Übersicht zu behalten, der regeltechnische Vorteil kommt dann durch das Gefallen-System.
Ganz allgemein ließe sich noch für jede (oder sagen wir mal: Jede zweite) Reputationsstufe festlegen, wie NSC der jeweiligen Fraktion auf die Gruppe reagieren. Das muss man im Spiel natürlich immer sehr situationsabhängig betrachten, aber es kann helfen.
- Feind (-6): Mitglieder der Fraktion greifen dich an, wenn sie dich sehen. Die Führungskräfte betrachten dich als ernstzunehmenden Gegner und arbeiten an deinem Sturz.
- Gehasst (-4): Du bist nun aktenkundig. Fraktionsmitglieder begegnen dir mit unverholenem Hass und Aggression. Die Fraktion arbeitet gegen dich.
- Unbeliebt (-2): Du bist negativ bei der Fraktion aufgefallen. Die Mitglieder verhalten sich dir gegenüber misstrauisch und kritisch.
- Neutral (0): Mag sein, dass dein Name der Fraktion bekannt ist, aber die Mitglieder der Fraktion verhalten sich je nach Temperament neutral dir gegenüber.
- Sympathisant (+2): Die Fraktion interessiert sich für dich und ist bereit, dir einen kleinen Gefallen zu gewähren. Die Mitglieder begegnen dir freundlich und neugierig.
- Gönner (+4): Du arbeitest für die Fraktion. Ihre Mitglieder helfen dir und gewähren dir einen mittleren Gefallen.
- Freund (+6): Du steckst ganz tief in der Organisation drin. Du kannst fast alles erreichen, jeder kennt und schätzt dich. Man tut dir auch einen großen Gefallen.
3. Gefallen
Habe ich bei einer Fraktion genug Reputation angesammelt, dann kann ich in einem gewissen Maß auf deren Ressourcen (Wissen, Gegenstände, Manpower, Fähigkeiten, Geld…) zurückgreifen. Je nach Reputation ist das ein kleiner, ein mittlerer oder ein großer Gefallen. Dieser Gefallen hat verschiedene regeltechnische und narrative Auswirkungen, die erst einmal ganz allgemein sind:
- Sympathisanten erhalten einen kleinen Gefallen. Das ist entweder ein Bonus von +2 auf eine Probe, eine relevante Information, ein kleiner Gegenstand oder ein schwacher Unterstützer. Die narrativen Auswirkungen sind gering, es wird einer anderen Fraktion nicht schaden.
- Gönner erhalten einen mittleren oder zwei kleine Gefallen. Das ist entweder ein Bonus von +4 auf eine Probe, ein kompetenter Unterstützer, ein relevanter Gegenstand oder ein anderer janz juter Dienst. Dabei darf gern auch mal gegen eine andere Fraktion agiert werden.
- Freunde erhalten einen großen Gefallen (oder ein mathematisch vergleichbares Äquivalent davon). Das ist entweder ein Bonus von +6 auf eine Probe oder ein Trupp Helfer, einen ziemlich guten Gegenstand oder einen ziemlich exotischen Dienst. Das darf auch ziemlich mit den Interessen anderer Fraktionen kollidieren.
Und dann gibt es da noch den »extremen« Gefallen, der zwar einen extrem bescheuerten Namen hat, aber auf einen ähnlichen Regelmechanismus bei Fate anspielt. Wir könnten es auch Missbrauch nennen. Ein Freund kann diesen Gefallen einfordern und erhält einmalig +8. Dann scheidet er aus der Fraktion aus und ist danach höchstens (!) noch unbeliebt. Missbrauch bedeutet, dass du dir eigenmächtig einen Trupp Soldaten zusammenstellst, das Waffenlager plünderst und persönlich Rache am Oberhaupt der befreundeten Fraktion übst. Danach gehts vors Kriegsgericht.
Das Wichtige bei Gefallen ist, dass sie sich nicht von allein regenerieren. Du hast dir von den Wächtern den geheimen Eingang zum Geschwürchirurgen zeigen lassen? Gut, jetzt schuldest du den Wächtern einen Gefallen. Die Größe dieses Gefallens ist wieder äquivalent. Was genau eine Fraktion aber für dich tun kann und was du für sie tun musst, das ist hochgradig settingspezifisch und sollte für jede Fraktion ausgearbeitet werden. Das muss nicht viel sein, nur ein wenig Fluff:
- Die Schrottsammler helfen dir, Gegenstände oder Orte zu finden, besonders wenn diese in der Wildnis sind. Sie haben keine Probleme damit, geheim und illegal vorzugehen.
- Die Wächter sind Spezialisten für Infiltration, Verfolgung und Überwachung. Sie kennen geheime Türen und gemeine Tricks. Sie helfen dir, wenn es hilft, Verzerrung zu vernichten.
- Die Akerbitaner fügen anderen Leuten gern Schmerzen zu und können gut Menschen davon überzeugen, Dinge für sie zu tun. Sie helfen dir gern, wenn es darum geht, Nahrung zu beschaffen.
Dieser letzte Punkt ist auch der Grund, warum das Fate-Fraktal ungeeignet ist, um Reputationen und Gefallen abzubilden: Ich will ja einen Wert für den Gefallen, nicht nur einen Wurf. Und: Ich hole mir etwas von der Fraktion, ich spiele aber nicht die Fraktion.
Schlusswort: Dies alles ist ungetestet. Viel Spaß damit! 🙂