Stadt – Land – Dungeon

Zorn­hau frag­te beson­ders nach der Funk­ti­on von SLD und hat damit mein Inter­es­se geweckt, denn geschult durch unzäh­li­ge didak­ti­sche und metho­di­sche Ana­ly­sen habe ich eine gewis­se Fas­zi­na­ti­on für Funk­tio­na­li­tät ent­wi­ckelt. Lan­ger Rede kur­zer Sinn: Heut gibt’s mal wie­der einen Gedan­ken zum Kar­ne­val.

Für mich als Nar und Erzähl­on­kel ist der eigent­li­che Maß­stab im Rol­len­spiel der Mensch und sei­ne Bezie­hun­gen. Dar­um betrach­te ich Stadt und Wild­nis zuerst als zwei ent­ge­gen­ge­setz­te Pole von Men­schen­men­gen. Dazwi­schen nimmt die Zahl der Men­schen (wozu ich auch alle kur­zen, grü­nen oder spitz­oh­ri­gen Leu­te zäh­le) kon­ti­ni­er­lich ab.

Stadt (100 % Men­schen) ———————————————– Wild­nis (0 % Men­schen)

Der Dun­ge­on hat durch sei­ne Abge­schlos­sen­heit eine beson­de­re Rol­le, die nicht direkt etwas mit der Anzahl der Men­schen zu tun hat. Doch dazu spä­ter mehr. Ich kann also davon aus­ge­hen, dass Stadt­aben­teu­er vor­ran­gig auf Leu­te und deren kom­ple­xe sozia­le Bezie­hun­gen fokus­siert sind, wohin­ge­gen Wild­nis­aben­tu­er sich ganz auf Umge­bung und Gefah­ren kon­zen­trie­ren. Grob ver­ein­facht könn­te man also anneh­men, dass Erzähl­on­kel und -tan­ten Städ­te bevor­zu­gen, wohin­ge­gen Gamer sich in der Wild­nis woh­ler füh­len. Das ist natür­lich reich­lich pau­schal und die Wahr­heit ist ein wenig kom­ple­xer, denn die Sozia­li­tät hängt mehr von der Art des Aben­teu­ers ab.

Aber schau­en wir uns doch ein­mal genau­er an, wel­che Arten von Men­schen, von Kon­flik­ten und von Auf­ga­ben wir auf die­ser Ska­la fin­den, ganz all­ge­mein und grob – Aus­nah­men vor­be­hal­ten.

Stadt­aben­teu­er und -kam­pa­gnen leben tat­säch­lich von kom­ple­xen Bezie­hungs­ge­flech­ten zwi­schen Grup­pen und von ihren Kon­flik­ten, von Neid, Miss­gunst, Ver­fol­gung und ganz all­ge­mein von mora­li­schen Kon­flik­ten. Inter­es­san­ter­wei­se brin­gen Städ­te aber auch eine gan­ze Rei­he von Schleich- und Klet­ter­aben­teu­ern her­vor, bei denen es eben dar­um geht, Men­schen aus­zu­wei­chen. Eben­so typisch sind hier alle Arten von Ver­fol­gungs­jag­den. Das hängt m.E. vor allem damit zusam­men, dass Stadt ein herr­li­cher Raum zur Impro­vi­sa­ti­on ist. Sich für eine Ver­fol­gungs- oder Schleich­sze­ne in einem Wald genug Kulis­sen und Hin­der­nis­se aus­zu­den­ken, dass es für alle Betei­lig­ten eine span­nen­de Sze­ne wird, ist ungleich schwe­rer, als in einer Stadt, was sicher­lich auch damit zusam­men­hängt, dass Städ­te uns ver­trau­ter sind. Ich fas­se zusam­men: Stadt ist nicht nur rei­cher an Men­schen, son­dern auch all­ge­mein an Varia­bi­li­tät. Funk­ti­on: The­ma­ti­sie­rung mensch­li­cher Kon­flik­te

Wild­nis­aben­teu­er sind was sozia­le Struk­tu­ren angeht wesent­lich schlich­ter. Men­schen tre­ten hier vor allem als Ein­zel­per­so­nen, als Jäger, Händ­ler, Hexen und Auf­trag­ge­ber auf. Dabei ist zu beden­ken, dass ein Dorf von sei­ner Wesens­art näher an der Stadt liegt, als der sturmum­tos­te Gip­fel des Frost­wip­fel­ber­ges; eine beglü­ckend tri­via­le Fest­stel­lung. All­ge­mein inter­es­sie­ren sich Wild­nis­aben­teu­er aber natür­lich mehr für die Land­schaft und die damit ver­bun­de­nen Her­aus­for­de­run­gen: Über­le­ben, Rei­se, Über­win­den von Hin­der­nis­sen usw. Tat­säch­lich liegt der Ver­dacht nahe, dass die Wild­nis vor allem das gute alte Aven­ti­ure-Sche­ma bedient, also den Aus­zug und die Wie­der­kehr des Hel­den mit Wild­nis als Bewäh­rung und inne­re Wand­lung, was wohl dem Erbe der Mytho­lo­gie in der Fan­ta­sy geschul­det ist. Ich fas­se also zusam­men: Wild­nis­aben­teu­er the­ma­ti­sie­ren vor allem den Kon­flikt des Men­schen mit der Natur und zei­gen dabei im Kon­trast zu die­ser den Men­schen und sein Han­deln. So oder so: Es geht um uns.

Eine Aus­nah­me stel­len die Dun­ge­ons dar, deren wei­tes­tes Kri­te­ri­um sicher­lich die Abge­schlos­sen­heit nach außen ist. Da für mich OSR nur eine bunt blin­ken­de GIF-Ani­ma­ti­on in der Sei­ten­leis­te von Blogs, die sich mit Mons­ter­hand­bü­chern beschäf­ti­gen, ist, kann ich nicht all zu viel Intel­li­gen­tes über die Natur und Funk­ti­on die­ser Abge­schlos­sen­heit sagen. Es ist klar, dass die meis­ten Dun­ge­ons eher im men­schen­lee­ren Ende der Ska­la anzu­sie­deln sind. Ich neh­me außer­dem an, dass die Exis­tenz von Dun­ge­ons viel mit der Geschich­te des Rol­len­spiels zu tun hat, und dass das Sub­gen­re des Dun­geon­crawls natür­lich auch eine gewis­se nost­al­gi­sche Kom­po­nen­te hat. Aber da will ich mich mal nicht zu weit aus dem Fens­ter leh­nen.

Und dann gibt es da noch die­sen sozia­len Dun­ge­on, also den abge­schlos­se­nen Raum, in dem die Kon­flik­te zwi­schen Men­schen im Vor­der­grund ste­hen. Da gibt es Inves­ti­ga­tiv­aben­teu­er mit weni­gen Prot­ago­nis­ten in einem Her­ren­haus, Mikro­ge­sell­schaf­ten in alten U-Bahn-Tun­neln in Mos­kau, Raum­fah­rer in einem Raum­schiff, die von einem Ali­en gejagt wer­den und abge­le­ge­ne Berg­dör­fer voll inzes­tuö­ser Kul­tis­ten. Die­se Aben­teu­er ähneln in ihrer Struk­tur dem Dra­ma (also dem, das man im Thea­ter auf­führt!): Einer oder nur weni­ge Hand­lungs­or­te, begrenz­tes Figu­renar­se­nal, Kon­flikt zwi­schen den Figu­ren. Wie auch im klas­si­schen Dun­ge­on spie­len hier kon­kre­te Räu­me eine sehr wich­ti­ge Rol­le, wohin­ge­gen Stadt- oder Wild­nis­räu­me meist eher abs­trakt blei­ben. Ich bin mir jedoch unsi­cher, wo ich die­ses Raum­kon­zept nun genau ein­ord­nen soll­te, aber viel­leicht fällt euch ja noch etwas Klu­ges dazu ein.

Das hier ist eine ers­te Annä­he­rung an die The­ma­tik, die natür­lich noch belie­big aus­ge­baut, kri­ti­siert und zer­fetzt wer­den darf.

4 thoughts on “Stadt – Land – Dungeon”

  1. Das ist die Art Bei­trag zum aktu­el­len Kar­ne­val, auf die ICH jetzt beson­ders neu­gie­rig bin.

    Die Fra­ge nach der Funk­ti­on kommt jedoch nur ansatz­wei­se in den Brenn­punkt.

    Wenn ich eine Bezie­hung zwi­schen Cha­rak­te­ren zum Kern­the­ma mei­nes Aben­teu­ers oder mei­ner Kam­pa­gne machen möch­te, wann und war­um set­ze ich die­se Bezie­hung in der Stadt in Sze­ne? Wann und war­um auf dem Land? Wann und war­um im Dun­ge­on?

    In der Stadt bekommt man z.B. sol­che Geschich­ten wie die in den Die­bes­wel­ten-Antho­lo­gi­en.
    Auf dem Land bekommt man sol­che Geschich­ten wie die Rei­se von Sam und Fro­do nach Mordor.
    Im Dun­ge­on bekommt man sol­che Geschich­ten wie die Quar­mall-Geschich­te rund um Faf­hrd und den Grey Mou­ser.
    Alles sind Bezie­hungs­ge­schich­ten, aber den­noch durch die Loka­ti­on signi­fi­kant anders, fin­de ich.

    Nur, wie tref­fe ich die Ent­schei­dung, WO ich WELCHE Art Bezie­hungs­ge­schich­te plat­zie­re?

    1. @Zorni: Das ist wirk­lich mal eine span­nen­de Fra­ge. Da ich prak­tisch immer in der Stadt lei­te (aus den im Post genann­ten Grün­den), habe ich da kei­ne Ant­wort. Bin aber SEHR neu­gie­rig.

    2. Oh weh, jetzt habe ich die Ant­wort schon ein Weil­chen auf­ge­scho­ben und muss end­lich mal ant­wor­ten, da ich es sonst nie tue. Also, lie­ber Zorn­hau, eine so rich­tig gute Ant­wort habe ich nicht und das hat den­sel­ben Grund wie beim Blech­pi­ra­ten. Dazu kommt, dass ich Bei­spiel 1 und 3 nicht ken­ne.

      Aber viel­leicht so viel: Bezie­hun­gen kön­nen über­all the­ma­ti­siert wer­den, aber aus prag­ma­ti­schen Grün­den nur die der vor­han­de­nen Figu­ren. Also erhöht die Stadt erst ein­mal nur die Wahr­schein­lich­keit, dass Bezie­hun­gen über­haupt the­ma­ti­siert wer­den kön­nen. Wenn ich als Spiel­lei­ter also Wert dar­auf lege, dass die SC sich stän­dig mit irgend­wel­chen Grup­pen, Frak­tio­nen und Ant­ago­nis­ten aus­ein­an­der­set­zen müs­sen, dann brau­che ich einen begrenz­ten, aber hin­rei­chend kom­ple­xen Schau­platz, in dem die SC agie­ren kön­nen.

      The­se: Ver­mut­lich ist es mit Cha­rak­te­ren wie mit ech­ten Men­schen: Wer stets rast­los umher­zieht, hat wohl ein Pro­blem mit der Bin­dung. Ergo ist das Rei­sen wohl der eigent­li­che Bezie­hungs­kil­ler, von Faf­hrd und dem Grau­en Maus­ling ein­mal abge­se­hen.

      Aprops! Ich hat­te ein­mal ein Expe­ri­ment gewagt: ich woll­te span­nen­des Rol­len­spiel ohne NSCs und erstell­te dazu eine Art Zom­bie­s­ze­na­rio, in dem die SC sich ange­sichts einer dro­hen­den Gefahr ihren Abgrün­den stel­len muss­ten. Es war unglaub­lich anstren­gend, alles zu pla­nen, aber letzt­end­lich erfolg­reich, denn die unter­schwel­li­gen Kon­flik­te der SC tru­gen zu einer sehr ange­spann­ten Atmo­sphä­re bei. Die Abwe­sen­heit von ande­ren Men­schen und die Gefahr hat­ten also die Funk­ti­on, Bezie­hun­gen der Cha­rak­te­re zu the­ma­ti­sie­ren.

      Indes, je län­ger ich dar­über nach­den­ke, ob es auch qua­li­ta­ti­ve Unter­schie­de zwi­schen Stadt und Land gibt, des­to mehr Aus­nah­men und Dif­fe­ren­zie­run­gen fal­len mir ein. Ich fürch­te, alles wei­te­re ist mir zu pau­schal. Wür­de mich doch wirk­lich mal inter­es­sie­ren, was die ande­ren schrei­ben.

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